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Im Interview: VCW-Headcoach Benedikt Frank

„Der entscheidende Matchball in Istanbul
wird mir immer in Erinnerung bleiben“

VCW-Headcoach Benedikt Frank im Interview mit Sabine Ursel

 

Bene, der VCW hat eine bemerkenswerte Saison hingelegt. Der sechste Platz in der 1. Volleyball Bundesliga Frauen wurde von begeisternden Auftritten im CEV Volleyball Challenge Cup gegen Bevo Rekkenshop Roesalare, Galatasaray Istanbul, PAOK Thessaloniki und Igor Novara überstrahlt. Im Halbfinale gegen den späteren Cup-Gewinner Novara haben nur Nuancen für weitere Satzgewinne gefehlt. Unabhängig von den Saisonergebnissen betrachtet: In welchen Spielen kam die Mannschaft Deiner Vorstellung vom bestmöglichen VCW-Volleyball am nächsten?

BF: Das coolste Spiel war das erste Playoff-Match in Dresden am 23. März, als wir in der Margon Arena 3:2 gewonnen haben. Da hat unsere Angriffsstrategie super geklappt. Beide 3:0-Siege nach Weihnachten in Vilsbiburg und bei uns gegen Aachen zähle ich auch dazu. Hier haben wir viele gute Entscheidungen getroffen. Ein sehr besonderer Moment war der entscheidende Matchball in Istanbul. Bei der letzten Auszeit beim 14:13 im fünften Satz haben wir eine klare Ansage für den nächsten Spielzug gemacht –  und genau so hat es das Team durchgezogen, Iza Rapacz hat dann den Sack zugemacht. In diesem Moment haben die Spielerinnen mit unbedingtem Willen und Cleverness alles zurückgezahlt. Dieser Ball wird mir für immer in Erinnerung bleiben.

Was fehlt dem VCW noch, um national in den Kreis der vier Großen – also Stuttgart, Schwerin, Potsdam, Dresden – vorzudringen? Man ist immer mal dran, kann ein Spiel zumindest eng gestalten oder auch mal eine Partie gewinnen …

BF: Um einmal zu gewinnen, fehlt nichts. Wir sind mittlerweile ein Gegner, der nicht mehr unterschätzt wird. Das war vor meiner Zeit beim VCW noch anders. Es geht aber in der Zukunft darum, am Ende mal Vierter oder gar Dritter zu werden, also mal in ein Halbfinale vorzustoßen. Uns fehlt insgesamt noch die Erfahrung dafür, weil wir jedes Jahr neue Spielerinnen integrieren. Wir brauchen mehr Wettbewerbshärte, um in kritischen Situationen das Momentum zu nutzen. Wir müssen unseren Athletinnen die Basis für Erfahrung und Lernen liefern, und das tun wir geradebei uns bleiben, die Verantwortung übernehmen und ihre Erfahrung weitergeben.

Welche Erfahrungen und Eindrücke hast Du persönlich aus der Saison 2023/2024 mitgenommen?

BF: Ich bin entspannter geworden und habe den Mädels noch mehr vertraut. Das war oft ein Schlüssel. Ein Beispiel: Das Training am Tag vor dem Spiel in Istanbul gegen Galatasaray war so schlecht, dass ich es nach einer halben Stunde abgebrochen habe. Und am nächsten Tag haben wir die Türkinnen in ihrer riesigen Arena 3:2 geschlagen. Es geht also darum, dass man am Spieltag seine beste Leistung abrufen kann. Die Spielerinnen haben gelernt, wie man mit Reisestress umgeht und wie man sich auf andere Spielkulturen einstellen kann. Wir Trainer haben dazugelernt, wie man bei einer enormen Anzahl Spiele in Sachen Athletik, Kopf und Balltraining agieren muss. Aktuell sind wir übrigens schon sehr weit in der Vorbereitung der kommenden Spielzeit, die in diesem Jahr bereits Ende September beginnt. Wir stoßen nicht alles um, aber wir wissen, wo und wie wir optimieren.

Du hast in dieser Saison überwiegend die Stammsechs plus Libera Rene Sain durchspielen lassen. Längere Wechsel gab es selten. Was sagt das über den Kader aus?

BF: Das war auch dem Spielsystem der Liga geschuldet. Durch unsere Zielvorgabe, Fünfter zu werden, war in dieser Saison fast jedes Spiel wichtig. Bei einer anderen Konstellation hätten wir wohl mehr rotieren können. Wir hatten während der vielen englischen Wochen kaum Zeit, Neues auszuprobieren. Es war für alle hart – für die Gesetzten, aber auch für die, die an der Seite bereitstanden. Unsere Stammsieben hat sehr gute Leistung gezeigt. Dann wird für die nächsten Spielerinnen das Heranrücken schwer. Aber die Ersatzspieler haben sehr gute Schritte gemacht. Und zum Ende hin konnten uns vor allem Jonna Wasserfaller, Melissa Langegger und Celine Jebens gewaltig helfen. Aber alle haben auch verstanden: Die besten Sieben mussten spielen, weil das Ergebnis zählt.

Der VCW hat in den vergangenen Jahren starke Spielerinnen an andere Clubs abgegeben. Olympiasiegerin Justine Wong-Orantes ist als Libera in Wiesbaden gewachsen. Sie spielt demnächst in der lukrativen US Pro League für Omaha. Außenangreiferin Laura Künzler hatte beim VCW eine super Bilanz, sie greift aktuell in der Türkei an. Und derzeit stehen die beiden VCW-Punktegaranten Izabella Rapacz und Jaidyn Blanchfield im Fokus zahlungskräftiger Clubs. Welchen Ruf hat sich der VCW international erworben?

BF: Spannende Frage. Unsere starken Auftritte in den großen Spielen gegen Galatasaray und Thessaloniki haben auch international Eindruck hinterlassen. Man kann es also als Auszeichnung für unsere Arbeit sehen, wenn unsere Besten für größere Clubs interessant sind. Und es gibt natürlich immer Spielerinnen, die zu uns wollen, weil sie hier eine gute Plattform sehen, um sich zu präsentieren. Alle wissen: Der VCW kratzt national und international an einem Halbfinale. Aber: Aufgrund unseres vergleichsweise beschränkten Etats bleiben wir erstmal eine Ausbildungsmannschaft, das beschreibe ich auch so in meiner Kaderplanung. Wir suchen in Nischen nach Athletinnen, die den Unterschied machen könnten, die ins Spielsystem und unsere Spielphilosophie passen, die Feuer in sich tragen und die bei uns wachsen wollen.

Wachsen ist ein gutes Stichwort in anderem Zusammenhang: Welche Bedeutung kommt großgewachsenen Athletinnen in einem Kader zu? Beim VCW agierten auch zuletzt wieder viele vergleichsweise mittelgroße Spielerinnen.

BF: Natürlich hat man einen Vorteil, wenn man einige sehr große Spielerinnen im Kader hat. Die müssen dann aber auch entsprechend reüssieren. Eine kleinere Athletin, die eine ebenso hohe Handlungshöhe hat wie eine große, wird in vielen Fällen bessere koordinative Fähigkeiten ausspielen können. Das gilt zum Beispiel für Jaidyn Blanchfield. Manche sind aber unter Umständen im fünften Satz kaputt, während eine Große immer noch groß ist. Also: Höhe entscheidet häufig, aber nicht immer, wenn man technisch auf hohem Level agiert. Für mich spielen hier in Wiesbaden nicht zwingend Größe oder auch Alter die entscheidende Rolle. Athletik und Lernbereitschaft sind sehr viel wichtiger. Ich möchte möglichst viel Ballkontrolle haben, guten Volleyball bieten und die Zuschauer begeistern.

In der kommenden Saison werden viele US-Amerikanerinnen nicht mehr in Europa spielen. Beispiele sind Dresdens Diagonalangreiferin Grace Frohling und Mittelblockerin Tia Jimerson, die nach der Hauptrunde Top-Scorerin der 1. Volleyball Bundesliga war. Beide haben nun in der neuen League One Volleyball USA angeheuert. Was bedeutet dieser Trend für die Kaderplanung der europäischen Clubs?

BF: Die Amerikaner fragen jetzt die Spielerinnen an, die sie haben wollen. Da zählen schlichtweg das Geld und der Reiz der ersten Profi-Liga im eigenen Land. Konsequenz ist die Marktveränderung hier. Gute Spielerinnen werden rarer und das Preisniveau verschiebt sich. Unser Gehaltslimit werden wir aber aus bekannten Gründen nicht überreizen. Und an meiner Grundausrichtung bei der Kaderplanung ändert das auch nichts. Wir müssen weiterhin mit unserem attraktiven Standort im Rhein-Main-Gebiet und mit ambitionierten, aber machbaren Zielen punkten.

Wo siehst Du insgesamt noch Potenziale beim Gesamtverein VC Wiesbaden?

BF: Es gibt Visionen, klar. Und es gibt Potenziale, die sich aber nicht so einfach heben lassen. Dazu gehören mehr Mitarbeiter in der Geschäftsstelle, vernünftigere Hallenzeiten, bessere Raumausstattung und Technik für die Trainer. Förderlich wären zum Beispiel auch ein hauptamtlicher Athletiktrainer wie bei Dresden und ein Sportdirektor wie bei Stuttgart. In Schwerin und Stuttgart ist ein Physio im Hauptamt beschäftigt, bei uns wäre einer in Teilzeit schon sehr hilfreich. Bei noch besserer wirtschaftlicher Lage könnten wir auch Spielerinnen mit Potenzial früh an uns binden. Es gibt viele kleine Puzzleteile. Aber: Wir machen aus unseren vernünftigen Bedingungen schon sehr viel, das muss man auch deutlich sagen. Was wir hingegen direkt beeinflussen können, ist die Weiterentwicklung talentierter Spielerinnen im Verein. Die zweite Damenmannschaft soll noch enger an die Profis heranrücken. Das schaffen wir immer besser. Durch die Trainerleistung von Tigin Yağlioğlu, der unsere Mannschaft in der 2. Bundesliga Süd betreut und Christian Sossenheimer, Daniel Ramirez und mich auch beim Erstliga-Team unterstützt.

Die zusätzliche Unterstützung war auch dringend notwendig angesichts Deiner Patellasehnenoperation Ende Januar. Die lange Narbe bleibt Dir erhalten. Es gab aber noch andere bemerkenswerte Ereignisse in den vergangenen Monaten bei Dir …

BF: Oh ja, es ging in der Tat turbulent zu. Ich habe zusätzlich die Leitung der 2. Bundesliga-Mannschaft übernommen. Mein zweites Kind wurde geboren. Ich musste anders planen, weil ich einen Monat lang keinen Führerschein hatte. Wir hatten unendlich viele Spiele. Zwischenzeitlich war ich eineinhalb Monate taub. Dann kam meine Verletzung im Training und wieder musste ich gefahren werden – und das über zwei Monate hinweg, was auch meine Frau an ihre Grenzen gebracht hat. Dass ich am 1. Februar beim Halbfinalspiel in Novara nicht vor Ort sein konnte, war auch emotional sehr bitter. Alles in allem war diese gesamte Gemengelage ein Mammutwerk für mich. Und trotzdem waren wir so erfolgreich.

Ein Grund für den Erfolge war sicher auch, dass die Mannschaft seit Oktober keine schwerwiegenden Ausfälle zu beklagen hatte. Als dann zum Ende der Saison das Kreuzband bei Nina Herelová riss, hat das für die Playoffs gegen Dresden eine große Schwächung bedeutet.

BF: Ja, da war es in der Tat. Aber insgesamt hat unsere gute Saison-Performance auch auf dem guten Athletiktraining, auf der adäquaten Belastungssteuerung und auf der guten physiologischen und medizinischen Betreuung beruht. Ninas Unfall war ein Schock nach dieser guten Saison für uns und es tut mir unendlich leid für Sie. Aber auch diesen Ausfall haben wir gut gemeistert. Die Performance im Viertelfinale war toll.

Bis zu den Playoffs hatten die VCW-Spielerinnen ungewöhnlich viele Matches in den Knochen.

BF: Ja! Ich betone gerne nochmal, dass wir von allen Teams wahrscheinlich am schwersten mit der Zwischenrunde zu kämpfen hatten. Wir hatten die vielen englischen Wochen in den Knochen und mehr Spiele zu bestreiten als die Teams der Gruppe A. Wir mussten in der B-Gruppe die ganze Zeit Vollgas geben, weil wir den sechsten Platz halten wollten, den wir davor ja eigentlich schon bewiesen hatten. Dass da mal Müdigkeit aufkommt, auch bei den Zuschauern, ist verständlich.

Die Zwischenrunde war indes nur eine einmalige Sache …

BF: Genau. In der kommenden Saison werden die neun Mannschaften der 1. Volleyball Bundesliga Frauen dreimal gegeneinander spielen. Jede hat die gleiche Anzahl Heim- und Auswärtsspiele, bis es in die Playoffs geht. Das ist nun bedeutend fairer. Und es freut mich sehr, dass Erfurt sich den Sprung zurück in die 1. Liga traut.

Bene, viel Erfolg und vielen Dank für das Gespräch.